Ich bin…

November 18, 2012

Der Junge saß an einem Brunnen nahe der Kirche. So wie jeden Tag. Sein weißes Hemd war selbst noch nicht ganz wach und auch die goldenen Knöpfe seiner blauen Jacke zwinkerten nur müde im Morgenlicht, das sich zaghaft den Weg durch die mittelgrauen Wolken kämpfte. Die Mütze, natürlich auch blau ebenso wie seine Hose, saß noch ganz schief auf dem Kopf. Die braunen Haare wuschelten darunter hervor. Der Junge mit dem blauen Gewand rieb sich mit der Hand über die müden Augen.

Da kam schon einer der ersten Menschen des Tages an ihm vorbei. Ein Mädchen auf dem Weg zur Schule. Sie sah müde und traurig aus. Fast schon grimmig. „Ich bin die Hoffnung, die Du grade nicht hast.“, rief er ihr schnell nach. Sie drehte sich um und blickte ihn fragend an. „Ja, die Hoffnung. Alles wird irgendwann besser. Und jeder Schultag ist irgendwann vorbei. Vielleicht macht es ja sogar manchmal Spaß.“ Das Mädchen nickte kurz und ging weiter. Aber er wusste, dass sie begonnen hatte ein wenig für sich zu lächeln.
Der Nächste war ein großer Mann. Ein Stadtrat oder ähnliches. Forschen Schrittes ging er voran. Sein Gesicht noch tief im Mantel vergraben „Ich bin die Leichtigkeit, die Du schon vergessen hast.“, beeilte sich der Junge zu flüstern. Was er dafür bekam war ein unwirsches Abwinken. Aber er wusste, dass er den Punkt getroffen hatte.
Es wurde immer heller und der Junge bekam Hunger. Da kramte er Tee und Kekse aus einem Beutel und begann zu frühstücken. Ein Kleinkind, ein Bub von nichtmal ganz drei Jahren entdeckte ihn dabei und stopselte auf ihn zu. „Du!“, rief er dabei und lachte. „Du!“ „Guten Tag, kleiner Mann. Magst Du auch einen Keks?“ Große braune erwartungsvolle Augen nickten ihm zu. „Bittesehr! Lass es Dir schmecken.“ Schon stolperte die Mutter daher. „Karl, wo bist Du denn?“ Sie war ganz in Sorge. „Einen Keks hast Du bekommen. Hast Du denn auch brav Danke gesagt?“ Sie guckte nun zu dem Jungen der da am Brunnen vor ihrem Sohn saß. „Ich danke Ihnen. Für den Keks und dass Sie auf meinen Sohn geachtet haben.“ „Keine Ursache!“, grinste er sie an. „Ich bin der, der auftaucht wenn er gebraucht wird.“ Ihr Blick verriet ihm, dass sie ihn noch nicht ganz verstehen konnte.
Es war schon seltsam. Die Großen hielten ihn für Erwachsen und siezten ihn ständig. Nur die Kinder sahen, was er war. Einer von ihnen.
Es war schon fast Mittag, als eine zweite Mutter an ihm vorbeirauschte. Sie musste Essen kochen, die Kinder abholen und die Entwürfe sollten bis heute Abend auch noch fertig werden. „Ich bin die Zeit, der Du hinterher rennst.“, sagte der Junge ganz ernst. Er nahm dazu sogar seine Mütze vom Kopf. „Wie?“, die Frau hielt kurz inne. „Ach ja, das meinen Sie.“, wirkte sie verwirrt. Aber ihre Schritte wurden langsamer.
Danach kam ein junger Mann. Ganz krank vor unerfüllter Zuneigung. „Ich bin die Liebe, die Du verloren glaubst. Und ich bin immer da.“ Der Knabe starrte ihn verwundert an! „Du?“, fragte er leise. Das Nicken des Jungen mit der blauen Jacke sah er schon gar nicht mehr. Doch zweifelte er nun anders.
Dem Mann, dem es bestimmt war, nach dem Jungen am Brunnen vorbei zu kommen, dem war alles ganz schwer. Ihn drückte das Leben. „ich bin das Schöne, das sich vor Dir verschlossen hat, so wie Du meinst. Aber ich bin nicht weg. Ich bin die Sonne die Du brauchst. Und ich schmelze das Eis weg. Und Deine Zuversicht, die bin ich auch.“ „Kannst Du das? Könntest Du das für mich tun?“, flüsterte der Mann und zwinkerte stumm hinter seinen runden Brillengläsern. „Selbstverständlich.“ Die Stimme des Jungen war ganz warm und weich. Und wieder hatte er seine Mütze abgenommen. Das waren die sehr ernsten Angelegenheiten bei denen er das tat. „Danke!“, sprachen des Mannes Augen und gingen in leichtem Wirren davon.
Eine alte Dame ließ sich neben ihm nieder. „ich bin die Jugend, die Du vermisst und die Du immer noch in Dir trägst.“ „Danke, mein Junge. Das tut gut. Auch wenns davon nicht besser wird.“ Sie lachte kurz. Dann erhob sie sich ächzend und trottete weiter. Beschwingter, wie der Junge hoffte.
Kurz vor dem Abend kam eine junge Frau, die ihn auch als das Kind sehen konnte, das er war. „Sag mal“, sagte sie. „Ist Dir das hier nicht zu einsam? So am Brunnen. Ist denn niemand für Dich da?“ „Aber es sind doch immer Menschen da. Und da bin ich für sie. Das bin ich.“, antwortete er. Doch sein Blick wurde ganz fern. ‚Ich hab nur Angst erwachsen zu werden, aber das müssen wir ja alle mal, nicht wahr? ‘ Aber das sagte er nicht. Das schloss er ganz tief im Herzen weg. Der Junge mit der blauen Jacke.

Fenster

Juli 21, 2012

Das Mädchen saß auf der Treppe und sah zu, wie sich die Wolke ihm näherte. Über ihm begann sie zu regnen. Pechschwarz. So wurde er zu Pechschwarz und verschwand fast vollends in der Dunkelheit. Zwei, drei stumme Tränen liefen über ihr Gesicht. Da spürte sie, dass er vor ihr stand. Und plötzlich sah sie seine beiden Augen, als weiße Kreise die sie sorgvoll betrachteten.
„ich hab Angst.“, flüsterte sie, ihre Stimme brach fast weg. Die Augen musterten sie unverstanden. Er hatte sie nicht hören können. „ich hab Angst, verstehst Du?!“, blickte sie ihn an. Traurig wogen sich die Augen hin und her.
Sie versuchte sich an ihm festzuklammern. Aber das Schwarze, was keine Farbe ist, war rutschig. Und so glitt sein Arm aus ihren Händen, ohne dass er sich bewegt hätte.
„Zeit ist nur geliehen“, hörte sie eine Stimme in sich drin. „Wie auch die Gunst der anderen.“ Als ob auch er wusste, was in ihr drin geschah, drehte er sich lautlos um und verschwand in Stille.
„Mädchen, Du musst gehen lassen, was nicht bleiben will oder nicht zum Bleiben bestimmt ist.“ Die alte Frau legte eine Hand auf des Mädchens Schulter.
„Aber ich mag seinen Namen, wie die Vorstellung davon. Reicht das denn nicht aus?“
„Namen sind nichts als Vergänglichkeit und der Schall einer seiner Selbst. Sie binden Dich an nichts und doch sind sie manchmal ein Zeichen. So sei Dein Name Mantelblau..“